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"4 Ukraine" Siła kobiet
"4 Ukraine" Жіноча сила"
"4 Ukraine" Die Macht der Frauen



WERSJA POLSKA    УКРАЇНСЬКА ВЕРСІЯ    DEUTSCHE VERSION






PROJEKTINTERVIEWS


Interview Halinka

Hallo! Wie heißt Du? Woher kommst Du? Wo bist Du geboren und wo hast Du studiert?
Hallo, mein Name ist Halinka. Ich wurde in der Stadt Tschortkiw in der Oblast Ternopil geboren. Meine Eltern gehören dem Militär an. Meine Mutter kommt aus der Oblast Ternopil und mein Vater aus Wolhynien. Weil sie beim Militär sind, haben wir die ersten viereinhalb Jahre in der Oblast Cherson gelebt - diese ist jetzt besetzt. Leider wird es wegen der heutigen (6. Juni 2023 - Anm. d. Red.) Sprengung des Kakhovśka-Kraftwerks auch eine Überschwemmung geben, wo ich gelebt habe, unsere Freunde sind dort, das macht mich sehr traurig.
Als ich viereinhalb Jahre alt war, zogen wir 1996 nach Kowel und ich habe mein ganzes Leben hier verbracht. 2010 habe ich meinen Schulabschluss gemacht und anschließend an der Medizinischen Fachschule in Kiwerzi an der Fakultät für Zahnmedizin studiert. Ich habe einen Abschluss als Dentalhygienikerin und Massagetherapeutin-Rehabilitandin.

Womit warst Du beschäftigt, bevor der Krieg 2014 ausbrach?
Ich habe gerade 2014 mein Studium abgeschlossen. Übrigens habe ich nach meinem Schulabschluss meinen Wehrpass gemacht, weil ich Sanitäter bin, vielleicht auch, weil meine Eltern im Militär sind und ich "in ihre Fußstapfen" getreten bin. Nach dem Studium habe ich sofort eine Stelle in einer privaten Zahnarztpraxis angenommen. 2014 lernte ich meinen zukünftigen Ehemann kennen, der zur ATO (Anti-Terror-Operation in der Ostukraine - Anm. d. Red.) ging, genauso wie mein Vater. Kurz gesagt, das Jahr 2014 hat mich sehr stark beeinflusst.

Wie hast Du den Euromaidan erlebt, hast teilgenommen?
Nein, leider konnte ich aus einem bestimmten Grund dort nicht hin. Ich habe gerade meine Arbeit begonnen, und diese hat mich in 'eisernen Händen' gehalten, ich konnte da nicht raus, und ich bereue es irgendwie. Ich war zu der Zeit nicht auf dem Maidan.

Wie hast Du den Euromaidan im Allgemeinen erlebt? Was für eine Bedeutung hat er jetzt für Dich?
Nun, es war schwierig, weil viele meiner Freunde dort waren. Es bestand die Hoffnung, dass sich die Ukraine tatsächlich irgendwie verändern würde. Ich habe erwartet, dass es besser wird.
Es war in der Tat eine Revolution der Generationen. Es ist eine Revolution des Übergangs von ,,Stardepia’’ (Macht im Stil der UdSSR - Anm. d. Red.) zu etwas Neuem, zu etwas Europäischem. Wir haben uns wirklich dafür ausgesprochen, dass wir unabhängig sind, und zwar nicht nur auf dem Papier, wir sind suverän und wir sind stark.

Du sagtest, Du hättest einen Militärausweis erhalten. Was genau bedeutet "Militärausweis" und welche Fähigkeiten/Funktionen hat er?
Das bedeutet, dass ich bei meinem Militärkommandanten, dem Militärkommando Kowel, registriert bin, was heißt, ich bin bei ihnen registriert und kann während des Krieges als Sanitäterin mobilisiert werden. Damals wusste ich, dass so etwas möglich ist, und im Grunde genommen habe ich diesen Ausweis ohne darüber nachzudenken gemacht, damals im Jahr 2014. Ich war mir der Bedeutung meiner Entscheidung bewusst und war bereit, das Land zu verteidigen.

Was bedeutet das für Dich? Du sagtest, Du hättest es von Deinen Eltern, aber was hat es für Dich persönlich bedeutet? Hattest Du das Gefühl, dass du nicht danebenstehen konntest?
Vielleicht ging es darum, dass ich im Inneren rief: Auch ich bin bereit, meinen Teil des Patriotismus zum Wohle meines Landes zu beizutragen.

Womit warst Du zwischen 2014 und 2022 beschäftigt? Wenn wir von den Ereignissen des Euromaidan und der Tatsache absehen, dass Du Dich ins Militärregister hast eintragen lassen? Wie waren diese Jahre?
Sie waren großartig für mich, auch wenn einige Leute sagten: "Alles ist schlecht", "so kann man nicht leben". Jetzt herrscht Krieg in unserem Land und wir verstehen, dass wir damals noch sehr gut gelebt haben. Es war im Allgemeinen gut: ich habe gearbeitet, dann wurde ich schwanger und ging in Mutterschaftsurlaub, meine Tochter kam zur Welt. Dann habe ich angefangen, selbständig zu arbeiten, und während dieser Zeit habe ich gearbeitet und bin gereist. Ich war zwar nicht im Ausland, aber ich habe die ganze Ukraine besucht, ich habe gesehen, was für ein schönes Land das ist.
Schon damals habe ich verstanden, dass man das Land unterstützen muss, dass man zu ihm stehen muss, hier sein muss und es nicht verraten werden darf. In dieser Zeit bis 2022 war alles großartig.

Wurde Dir klar, dass der Krieg kommen wird? Dass er ein größeres Ausmaß erreichen wird? Habt Ihr den "Gerüchten" geglaubt, dass Russland wirklich in vollem Umfang in die Offensive gehen könnte?
NEIN! Damals habe ich das überhaupt nicht geglaubt. Und das obwohl mein Vater, der im Militär dient, und mein Onkel, welcher in der Luftverteidigung der Ukraine ist,  uns auch gewarnt haben. Ich habe es trotzdem nicht geglaubt, weil ich dachte, dass wir das 21. Jahrhundert haben, was für ein Krieg? Und das dachten wahrscheinlich auch die meisten Ukrainer: ,, Was für ein Krieg?". Damals konnte ich es einfach nicht glauben.

Jeder hat seinen 24. Februar. Wie war er für Dich? Hattest Du, vielleicht sogar, als Du am 23. ins Bett gingst, das Gefühl, dass in dieser Nacht etwas passieren könnte?
Leider glaube ich, dass ich wirklich etwas gefühlt habe, denn bevor ich einschlief, fragte ich meinen Mann: "Ist unser Flugabwehrsystem in Bereitschaft?" und auf diese Frage antwortete er verwirrt: "Warum fragst du sowas?", ich antwortete: "Ich weiß nicht, einfach so".
Um 6 Uhr morgens weckte uns ein Anruf meines Vaters, der einen Satz sagte: "Der Krieg hat begonnen". Der Morgen war sehr unruhig, man kann gar nicht ausdrücken, wie unruhig er war. Wir schalteten den Fernseher ein, sahen alle Nachrichten und erlebten das ganze Horror, so wie die meisten Ukrainer.

Hattest Du einen Handlungsplan? Was hattest du vor zu tun? In der Ukraine gab es schon in den ersten Tagen viele Freiwilligeninitiativen.
Am ersten Tag, dem 24. Februar, habe ich einen "Notfallrucksack" gepackt, dann die Arbeit abgesagt - nun ja, so lief es von allein. Ich habe unsere Tochter  zu meinen Eltern gebracht, und mein Mann und ich sind zur Territorialverteidigung gegangen, haben dort die Dokumente eingereicht, und dann hieß es, wir sollten warten. Aber weil ich nicht einfach so sitzen kann, bin ich zuerst zum Palast gegangen, wo die Freiwilligen Tarnnetze geflochten haben und dann wurden wir geschickt, um Molotow-Cocktails zu machen. Wir wurden auch zum Roten Kreuz geschickt, um humanitäre Hilfe zu sortieren. Und so sind wir im Grunde von einer Hilfsstation zur nächsten gewandert und haben geholfen.

Du hast erwähnt, dass Du der Territorialverteidigung beigetreten bist. Warst du damals wirklich bereit, in die Armee einzutreten?
Ja, da ich einen Militärausweis und eine medizinische Ausbildung habe, war mir klar, dass meine Hilfe nötig sein würde.

Das ist sehr mutig, aber ich möchte trotzdem fragen: Hattest du als Mutter Angst um Dein eigenes Leben?
Ich hatte Angst, aber wusste, dass ich für die Zukunft meiner Kinder kämpfen muss. Es ist schrecklich, dass Kinder in Zukunft mit Krieg leben werden. Ich war bereit zu helfen, eine friedliche Zukunft der Ukraine für unsere Kinder zu sichern.

Wie betrachtest Du die Ukraine seit der Erklärung der Unabhängigkeit? Du bist ein Kind, das bereits in einer unabhängigen Ukraine geboren wurde. Was kannst Du darüber sagen, wie sich die Ukraine von der Zeit der Unabhängigkeit bis heute zu dem Krieg verändert hat?
Ich glaube, am Anfang, als unsere Unabhängigkeit erklärt wurde, war sie leider nur auf dem Papier. Das ging noch viele Jahre so weiter, wir waren nicht suverän, wir waren abhängig von den Resten der Sowjetunion und wir wurden ständig dorthin gerufen, dorthin gezogen. Ich glaube, irgendwann ab 2010, als ich die Schule abgeschlossen habe, wurde mir klar, dass sich das Land wirklich verändert, die Ukraine wollte es sein und sah sich in der EU, sah sich als starkes Land, das wirklich unabhängig sein würde. Ich meine, von dem Moment an, als wir anfingen, nach Europa zu schauen, da wurden wir unabhängig.

Ich weiß, dass Du Teil der Marlog-Freiwilligengemeinschaft bist. Erzähl uns ein wenig über diese Gemeinschaft.
Am 14. April schrieb mir eine Bekannte, Ljudmila Zubarieva, dass sie eine Nichtregierungsorganisation namens "Big Idea" hat und sie bot mir an, dass ich in die Schule komme, in der sich das Lager von "Marlog" befand, und helfe die aus Israel kommenden Lastwagen zu entladen. Es gab Kleidung, Medikamente und Lebensmittel. Da sie wusste, dass ich Ärztin bin, teilte sie mich ein, um die Medikamente zu sortieren. Ich dachte, das könnte interessant sein, also ging ich dorthin, und von diesem Moment an, glaube ich, begann mein "Marlog", da ich sah, dass ich dort wirklich wichtig war.

Erzähl uns von Deinem Verantwortungsbereich bei Marlog. Wie war er am Anfang und wie ist er jetzt?
Am Anfang ging es ums Sortieren. Es wurden uns viele Sachen geschickt, die wir, um ehrlich zu sein, nicht in der Ukraine hatten. Obwohl ich Medizin studiert habe und Zahnärztin bin, muss ich sagen, dass es nicht nur Zahnmedizin gab, sondern auch andere Bereiche der Medizin, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Es war sehr interessant, sehr  belehrend. Als dann die taktische Medizin aufkam, die die Jungs an der Front jetzt brauchen, hat mich das noch mehr interessiert, es war etwas sehr interessantes und neues für mich. Natürlich ist dieser "militärische Teil" in meinem Leben vorhanden, ich habe so ein "militärisches" Gen. Deshalb bin ich wahrscheinlich davon ausgegangen, dass das, was die Jungs jetzt dringend brauchen, taktische Medizin ist. Ich habe mich schließlich bei 'Marlog' in der taktischen Medizin wiedergefunden.

Erzähl uns ein wenig darüber, was taktische Medizin ist, und ob du vor "Marlog" bereits Erfahrungen mit diesem Konzept hattest?
Die taktische Medizin ist Medizin für Soldaten. Es handelt sich um einen Erste-Hilfe-Koffer nach NATO-Vorbild, der alles enthält, was man braucht, um Erste Hilfe zu leisten, d.h. um das Leben eines Soldaten zu retten. Ein Blutstillendes Band für starke Blutungen, ein mit Substanzen, die Blutungen hemmen, getränkter Verband, ein israelischer Verband, ein individuelles Verbandspäckchen, eine Tamponade - die Dinge, die man im Falle einer Verletzung sofort braucht.
Hatte ich irgendwelche Vorkenntnisse? Nein, das musste ich nicht, obwohl ich erste Hilfe leisten konnte. Es ist nicht so weit vom Konzept der Ersten Hilfe entfernt, aber ich hatte keine Erfahrung mit taktischer Medizin und der Verwendung der Ausrüstung.

Heutzutage erlebt jeder den Krieg auf seine Weise, im Prinzip herrscht mal Frieden in Wolhynien, mal Unruhe. Wie kann man diesen Krieg durchstehen?
Jedes Mal denke ich mir, dass es keinen absoluten Frieden gibt. Aber dann glaube ich jedes Mal daran, dass wir von den Streitkräften der Ukraine und der Luftverteidigung geschützt werden. Ich glaube an die Streitkräfte.

Wie kannst Du Dein Leben während des Krieges beschreiben? Welche Veränderungen gab es? Haben sich deine Werte geändert?
Meine Werte haben 2014 geändert, als der Krieg begann. Schließlich zog mein Mann in den Krieg und er kämpfte zwei Jahre lang. Ich glaube, das war der Zeitpunkt, an dem sich mein Leben änderte. Ich begann, jeden Moment zu schätzen, ich begann zu schätzen, dass es vielleicht kein Morgen gibt, dass ich morgen vielleicht nicht mehr mit dieser oder jener Person sprechen kann. Ich begann das Leben wirklich zu schätzen, ich überdachte alles seit 2014.
Und jetzt, ab 2022, der Invasion im vollen Ausmaß, ist mir klar geworden, dass man das, was man hat, noch mehr zu schätzen wissen muss, d. h. das Leben wertschätzen, leider in diesem Moment leben, aber auch von der Zukunft träumen.

Wie siehst Du die Zukunft der Ukraine?
Es gibt zwei Möglichkeiten für den Verlauf unserer Zukunft. Wenn wir nicht sofort nach dem Ende des Krieges erkennen, was wir durchgemacht haben, wird sich die Geschichte wiederholen, die seit Jahrhunderten andauert. Eine Geschichte, in der wir weiterhin gefoltert und gedemütigt werden. In der sie uns das Land wegnehmen werden, usw. Die zweite Variante, von der ich hoffe, dass sie die richtige ist, sieht so aus: Unsere Ukraine wird ihre starken, unabhängigen Flügel voll entfalten, und wir werden stark und unabhängig werden. Stark bedeutet auch eine starke Armee haben. Wenn wir eine starke Armee haben, werden sie Angst vor uns haben und niemand wird uns angreifen. Ich glaube, dass wir eines der stärksten Länder in Europa werden könnten.

Was würdest Du jetzt jedem Ukrainer mitteilen, wenn Du könntest?
Im Moment würde ich jedem Ukrainer raten, die Augen zu öffnen und zu verstehen, dass der Krieg noch nicht vorbei ist. Viele Menschen haben sich schon entspannt und verstehen nicht, dass der Krieg noch nicht vorbei ist, auch wenn sie nicht mehr direkt betroffen sind. Ich würde sagen, dass der Krieg NICHT zu Ende ist. Wir müssen den Streitkräften helfen, wir müssen informieren und alles tun, damit der Sieg so schnell wie möglich kommt.

Noch eine ähnliche Frage: Wenn Du der ganzen Welt etwas sagen könnten, was wäre es?
Bitte glaubt an uns und hilft uns. Um ehrlich zu sein, hatte ich Angst, dass wir in Vergessenheit geraten würden. Seit dem 24. habe ich mir gedacht: "Oh, noch einen Monat, zwei, vielleicht sechs Monate und man wird uns vergessen". Ich bin allen sehr dankbar, dass sie uns bis jetzt unterstützt haben, und bitte, dass sie weiterhin unsere Unterstützung sind. Ich möchte auch, dass ihr wisst, dass die Ukrainer nicht nur für die Ukraine kämpfen, sondern auch für eine friedliche Zukunft für ganz Europa. Wir kämpfen dafür, dass der Krieg nicht an die Türen anderer europäischer Häuser klopft. Die Ukraine kämpft für die Wahrheit und die Freiheit in Europa.






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