Angela Mierzwa: Hallo Sabrina, danke dass du gekommen bist und dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst. Erzähl uns doch einmal werd du bist und was du so beruflich machst.
Sabrina Tanriverdi: Ich bin Sabrina. Ich bin siebenunddreißig Jahre alt. Ich bin Kauffrau für Büromanagement und arbeite in einer Bildungs- und Tagesstätte. Ich bin dort für die Organisation und Verwaltung zuständig und im Kundenservice.
Angela Mierzwa: Wie ist der Kontakt für dich zu den Kunden? Hast du Kontakt mit Gästen?
Sabrina Tanriverdi: Ich habe Kontakt mit Gästen. Ich begrüße diese, erfülle Kundenwünsche, soweit es möglich ist und verabschiede die Gäste. Ein-checken, Aus-checken – viel Kundenkontakt.
Angela Mierzwa: Wie war denn der Moment für dich, oder der erste Tag oder die erste Woche als der Ukrainekrieg ausgebrochen ist? Was hast du mitbekommen und was hast du da empfunden?
Sabrina Tanriverdi: Ich fand das emotional sehr belastend, weil es einfach so nah ist. Das hatte sich ja Wochen vorher schon zugespitzt, dass die Truppen vor der Ukraine seitens Russland aufgestellt geworden sind und man gesagt, das sind nur Übungseinheiten und man ist eigentlich jeden Morgen mit dem Gedanken wach geworden. Ist es heute so weit? Und als der Tag kam, einfach nur fassungslos, dass die ganze Welt da zugeschaut hat wie die sich vorbereitet haben.
Angela Mierzwa: Und wie hast du davon erfahren?
Sabrina Tanriverdi: Im Radio. Ich war auf dem Weg zur Arbeit und dann wurde das auch erwähnt und es war unglaublich, unglaublich, heute noch.
Angela Mierzwa: Hattest du denn zu dem Zeitpunkt eine persönliche Verbindung oder Bezugspunkte zur Ukraine?
Sabrina Tanriverdi: Nein, überhaupt nicht.
Angela Mierzwa: Gar nicht... Wann hast du denn den ersten direkten Kontakt zu geflüchteten Personen aus der Ukraine gehabt?
Sabrina Tanriverdi: In der Tat hier. Als unsere Flüchtlinge kamen.
Angela Mierzwa: Hier bedeutet im Bildungshaus?
Sabrina Tanriverdi: Ja, hier im Bildungshaus.
Angela Mierzwa: Alles klar. Kannst du dich denn an den Tag erinnern als die geflüchteten ins Bildungshaus gekommen sind?
Sabrina Tanriverdi: Das werde glaube ich mein Leben nicht vergessen. Wir hatten den Morgen auf die gewartet, es hieß, dass die vormittags kommen. Irgendwann konnte ich aus dem Fenster, wo mein Arbeitsplatz ist, auch sehen, dass ein Auto hielt. Wir wussten die Anzahl von Personen und das ein Kind dabei ist. Und dann hielt irgendwann ein Wagen und da stiegen Menschen aus und die hatten nichts bei, außer jeweils zwei Plastiktüten. Das war...das werde ich nie vergessen wie diese vier Menschen angekommen sind und man... wirklich gesehen hat, dass das...das war so der erste Berührungspunkt mit diesem Ukrainekrieg und das werde ich glaube ich niemals vergessen.
Angela Mierzwa: Was für Geflüchtete sind denn gekommen? Wie war die Familienkonstellation?
Sabrina Tanriverdi: Das war eine Mutter mit einer Tochter, die Tochter war vielleicht sechs Jahre vielleicht sieben Jahre und dann war da noch eine Frau dabei, mit einer Tochter von ungefähr vierzehn Jahren.
Angela Mierzwa: Und wie war die erste Zeit für dich mit den neuen Gästen, die dann auch langfristig im Haus waren?
Sabrina Tanriverdi: Sehr zurückhalten, weil die Sprachbarriere sehr groß war. Mein ukrainisch ist sehr schlecht, es ist nicht vorhanden. Die Dame sprach noch polnisch, da konnte meine Kollegin besser interagieren und was uns dann später im Alltag geholfen hat, war halt der Übersetzer am Handy beziehungsweise am Computer. Es war immer sehr sehr aufregend, wenn ich dann alleine war und die mich angesprochen haben und ich nicht so richtig wusste: Oke...was...was wollen die denn jetzt?
Und anfangs ging es um ganz banale Dinge, wie Schuhe oder Anziehsachen. Wo man in ganz anderen Dimensionen gedacht hat, was die brauchen. Dann waren das einfach ein paar Turnschuhe, die benötigt wurden.
Angela Mierzwa: Und welche Kontaktpunkte hattest du sonst mit den Geflüchteten in deiner Arbeitsstätte? Was hast du so gemacht, wobei hast du vielleicht geholfen?
Sabrina Tanriverdi: Später, das war dann schon eine ganze Zeit, dann musste zum Beispiel der Online Banking Zugang angelegt werden, den ich dann in der Tat auf Ukrainisch, Englisch, mögliche Sprachen eingerichtet habe. Dann waren Berührungspunkte, wegen Essen, oder es gab auch Berührungspunkte in Dingen die eigentlich gar nicht das Tagungshaus an sich betrafen oder das alltägliche Leben. Wir waren für die Menschen der Ansprechpartner Nummer eins. Man hat gedacht, dass da irgendwie Flüchtlingshelfer oder Sozialarbeiter vorbeikommen. Das war in der ersten Zeit überhaupt nicht so. Wenn die Fragen hatten zum Ablauf oder wenn Sie irgendwo hinwollten (Ärzte, Schulen, Kindergärten etc.), dann waren wir Ansprechpartner. Wenn das Geld nicht gekommen ist oder etwas nicht geklappt hat. Das waren nicht nur dieses Beherbergen, von wegen man stellt einen Wohnraum zur Verfügung, Essen und Trinken. Sondern man hat die Menschen die erste Zeit begleitet und das Kind auch zum Teil betreut.
Angela Mierzwa: Das heißt das Kind war quasi auch im Alltagsgeschäft dabei und... Sabrina
Sabrina Tanriverdi: Das war im Arbeitsalltag, was hauptsächlich ja hier mein Ding ist, ich bin hier auf Arbeit. Da war dieses Kind in der Zeit immer präsent und es war auch in der Tat auch, dass man sich verantwortlich gefühlt hat, wenn sie alleine rausgegangen ist, das man danach geschaut hat, oder so ein bisschen zur Tante umfunktioniert wurde. Also man musste auch mal nein sagen oder interagieren, oder eingreifen, wenn Sachen passiert sind, die im Tagesgeschäft nicht tolerierbar waren und kein anderer da war, der erziehungsberechtigt ist oder was, dass man da einen Weg findet zu agieren.
Angela Mierzwa: Du hattest gesagt, dass du und dein Team auch gedacht hattet, dass da mehr Unterstützung kommt von Seiten der Sozialhelfern oder Helfern für Flüchtlinge. Ist das denn dann mehr geworden, über die Zeit?
Sabrina Tanriverdi: Eigentlich nicht wirklich. Wir hatten auch noch einen Herren (Kriegsverletzer Geflüchteter) der Sozialhelfer hatte. Die sind einmal die Woche gekommen aber auch da war das sehr überschaubar, was uns an Hilfe gegeben wurde. Meine Kollegin hatte den Verwaltungstechnischen Aufwand und auch den organisatorischen. Es war wirklich schwer jemanden dran zu kriegen, der überhaupt bereit war zu helfen. Es wurde oft gesagt, „der ist nicht da“, „der ist in Urlaub“ und es gab keine Vertretung und bis auf diesen einen Herren kann ich bewusst nicht sagen, dass ich einen anderen Sozialhelfer hier gesehen habe.
Angela Mierzwa: Was waren denn für dich persönlich die größten Herausforderungen in diese Zeit? Oder gab es etwas, was dir schwieriger gefallen ist im direkten Kontakt mit den Flüchtlingen?
Sabrina Tanriverdi: So in den Alltagsberührungen weniger. Man ist das freundlich und nett und es kam auch immer von den anderen. Aber wenn Unzufriedenheit bei den Gästen aufkam, das war bei einer Dame sehr extrem, die ist relativ schnell aufbrausend geworden und da dann zu interagieren und zu beruhigen und da dann das richtige Verhalten zu finden, fand ich ganz schwer. Vor Allem weil es dann wieder mit der Sprache schwierig wurde. Also wenn sie das dann in den Übersetzer gegeben hat und da kam da etwas von Flugzeugen oder Raumschiffen und du wusstest immer noch nicht, die Frau wollte jetzt aber eine Antwort von dir. Das war manches Mal richtig schwer.
Angela Mierzwa: Also die Sprachbarriere war...
Sabrina Tanriverdi: Das war mit die größte Herausforderung, ja.
Angela Mierzwa: Gab es denn auch Erfolgsmomente für dich mit den Geflüchteten zusammen? Momente wo du dich gefreut hast?
Sabrina Tanriverdi: Absolut! Es waren zwei junge Mädels die sich ein Zimmer geteilt haben und das eine Mädchen davon hat super schnell im Sprachkurs Deutsch gelernt, die konnte dann wirklich im Gespräch hauptsächlich deutsch mit dir sprechen und du hast das verstanden. Das habe ich gefeiert. Das fand ich so toll. Die Mädels haben auch dann Arbeit gefunden und konnten dann ausziehen. Ich muss ehrlich sagen, also für die Mädels fand ich es toll, das war super, aber ich war zu Tränen gerührt, das tat mir schon..... Ich habe mich gefreut für sie, aber es war so... sie haben dazugehört, sie haben in das Haus gehört.
Angela Mierzwa: Wie lange waren die zwei Mädels im Hause?
Sabrina Tanriverdi: Acht Monate. Da muss man sich vorstellen, die haben sich acht Monate ein Zimmer geteilt. Also das ist ein Zimmer von vielleicht 15-20 Quadratmetern. Zwei Betten, ein Schrank und ein Badezimmer. Die mussten alle Launen miteinander teilen. Das fand ich total beachtlich. Das war nicht irgendwie Familie oder was, das waren Freundinnen. Das fand ich Hammer. Heute noch.
Angela Mierzwa: Weißt du denn noch wie viele von den Geflüchteten, die bei euch waren, jetzt schon ein zuhause gefunden haben und Anschluss vielleicht auch Arbeit.
Sabrina Tanriverdi: Also insgesamt sind drei Parteien, sage ich jetzt mal, in festen Wohnungen mit festen Wohnsitz. Also die haben eine Wohnung gefunden. Hier die Mutter mit der Tochter, mit der kleinen, die sind als erstes ausgezogen. Dann sind die zwei Mädels ausgezogen und wir hatten noch ein älteres Ehepaar von so Mitte 50- 60 Jahren, um den Dreh. Die sind auch inzwischen ausgezogen. In eigene Wohnungen, nicht in andere Unterkünfte, sondern in eigene Wohnungen.
Angela Mierzwa: Das ist schön. Da haben viele schon Anschluss. Du hattest auch kurz erwähnt, dass manche auch schon einen Job gefunden haben?
Sabrina Tanriverdi: Ja, wir haben noch die eine Dame hier, die ist auch mit ihrer Tochter hier, die Tochter ist 15/16 und die zwei haben zwar noch keine Wohnung aber die Mutter arbeitet. Zwar auf Schicht und ich kann mir vorstellen, dass es für die beiden nicht immer leicht ist, aber die haben sich super integriert. Das Mädchen geht hier zur Schule und die Mutter geht arbeiten und kann jetzt selbst über ihr Geld verfügen und das ist richtig schön zu sehen.
Angela Mierzwa: Das ist schön. Da sind ja auch viele positive Sachen im letzten Jahr passiert die du hautnah miterleben konntest. Gibt es denn noch etwas, was du gerne erzählen möchtest von der Zeit. Etwas, was dich geprägt hat oder was dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Sabrina Tanriverdi: Was ich besonders.... Oder was ich daraus ziehe, ist, wenn man von einem Trauma spricht, dann denkt man immer, dass die, das die Menschen traurig sind, in sich gekehrt sind. Was ich aus dieser Zeit gezogen habe, ist, das Trauma vielseitig sein kann. Das ist nicht nur dieses in sich gekehrt sein, traurig sein, sondern das kann in Aggressionen umgehen, das kann in..in.. in Verhaltensauffälligkeiten vorkommen und das ziehe ich aus dieser Zeit.
Das jeder mit einem Trauma von diesen Menschen gekommen ist und dieses Trauma sich bei jedem anders gezeigt hat.
Angela Mierzwa: Das ist sehr interessant. Vielen Dank für diesen Input. Und ich bedanke mich, dass du dir die Zeit genommen hast für das Interview.
Sabrina Tanriverdi: Sehr gerne.